Die südliche Mauer schließt den Tierpark zum Ostend hin. Schaut man die Bärenstraße hinunter, türmt sich das HoheHaus der EZB. Der Eindruck ähnelt einem Blick durch Gassen eines Voralpendorfs auf die Kulisse der grauen Berghänge mit ihren hellen Spitzen.
Von „der Stadt“ kommend, so die Einheimischen über das Zentrum von Frankfurt, hat der Flaneur die Zeil über ihren bunten und östlichsten Abschnitt hin auf das Gesellschaftshaus passiert, folgt dann, dieses rechts passierend, dem S, welches der Zoo in das Gesicht der Stadt zeichnet. Die Grzimekstraße wird gesäumt von Grün, das aus dem Park hinter der Mauer ragt und den Himmel beschirmt. Bäume reihen sich auch nach der Biegung. Hoch und ahornblättrig säumt nun eine Allee von Platanen die Rhönstraße.
Zeit die Gedanken wandern zu lassen. Rhön war altes Buchenland, 100 Kilometer weiter im Nordosten gelegen. Hier stehen frei wachsende Bäume, die in Frankfurt ansonsten so krüppelig auf ihre vergangene Funktion als Lieferanten für Korbmacher reduziert sind. Der Zoo mit seinen Rändern ist eine Insel in der Stadt.
Korbmacher sind verschwunden, anderorts in Frankfurt blieb den Bäumen ihr Krüppelstatus, jährlich lautstark beschnitten. Sie sind nun Stadtmöblierung, Zierpflanzen wie in einem Wohnzimmer ohne Wohnzweck.
Auf Höhe der Bärenstraße kommen mir drei Mädchen bürgersteigweit entgegen. Klein wirken sie, kaum einen Meter groß, ihre Schulranzen überragen sie.
Meine Gedanken wechseln aus der Weite in die Nähe. Warum sind die Kinder wieder so kleingewachsen, denke ich noch, doch das eigene Vorurteilen wird überlagert, ihre ruhige und ernste Art zu sprechen macht Oxymoron. Oxys beschreibt die Schärfe, die ein Gedanke haben kann, moros deckt auf, wo es gedankenlos ist. Dumm zu sein, mag niemand erkennen.
Kleinheit und Klugheit zusammen zu denken, scheint so fremd, wie alles Fremde von Urteilen geleitet wird. Das Kleine ist doch Kind, unreif.
Sie sind im Gespräch vertieft. Ihre Blicke erfassen mich, klar und bewusst, als sie mich mustern. Nur eine sparsame Bewegung schafft den Raum für die Passage.
Ein oder zwei Sätze sind zu vernehmen. Es geht um Verhalten und wie etwas zu lösen sei. Sie mögen vielleicht sieben Jahre alt sein und in mir entsteht ein neues Urteilen. Das moros wird nun oxys. Das Fremde geht, und eine neue Denkweise wird. Diese Personen sind klug.
Als ich das Giraffenhaus hinter mir lasse, sehe ich ein weiteres Mädchen mit großen Gepäck, sie ruft, das Stimmchen ist kaum zu vernehmen. Ich drehe mich, rufe, die drei kleinen, inzwischen fernen Figuren wenden sich, „eure Freundin“, die mich passiert, schwarzglänzende Haare, „dankeschön“, kommt leise von unten und dann wackelt der Ranzen weiter.
Ich bin auf der Höhe des Affenhauses, verharre, die Wohnung unserer nächsten Verwandten ist leer, sie haben sich zurückgezogen, und wende mich nochmals, schaue die Rhönstraße hinunter.
Die Ordnung der drei kleinen Personen ist aufgelöst, sie nehmen die Ankommende auf. Das ferne Begrüßen ist mir stumm, das freundliche Umgehen scheint dennoch aus der Ferne mir so nah.
Meine Gedanken schweifen wieder. Das sind die Frauen, die im Jahr 2055 auf ihr 50. Lebensjahr zugehen werden. Sie werden dann das Land prägen, mit ihren Gemeinsamkeiten, die aus unterschiedlichen Wurzeln stammen. Solche Gespräche führt sie zusammen und weiter.
Nochmals drehe ich mich kurz zurück, die kleine Gruppe hat sich nun neu formiert und entfernt. Ich sende ihnen einen Wunsch nach, dass sie Erwachsenen begegnen, Eltern haben, Lehrer erhalten, die ihre zarte Klugheit zu erkennen in der Lage sind, – und ihnen in wissendem Respekt alte Erfahrungen vermitteln sowie Möglichkeiten Neues zu denken eröffnen.
No Replies to "Deutschland 2055"